Sterben, Tod und Trauer mit frischem Wind begegnen

2024 sind sie in den Inkubator Mitte der Humboldt-Universität eingezogen und entwickeln ihr Startup dort weiter: Eva Hartmann und Miriam Becker haben das Unternehmen Kreis & Raum ins Leben gerufen, um Trauerbegleitung und Bestattung umfassender und individueller zu gestalten. Dabei kommen die beiden Gründerinnen ursprünglich gar nicht aus der Bestattungsbranche. Was also hat dazu geführt, dass die beiden Frauen ein Thema, um das die meisten Menschen gerne einen großen Bogen machen, in den Fokus ihrer Arbeit setzen? Wie unterscheidet sich ihr Unternehmen von anderen Bestattungsfirmen, welche Momente haben sie besonders bewegt und welche Rolle spielt die Natur beim Umgang mit dem Tod? Das und vieles mehr haben uns Miriam und Eva ausführlich beantwortet.

Links Miriam Becker und rechts Eva Hartmann. Die beiden Gründerinnen von Kreis & Raum.
Miriam Becker links und Eva Hartmann rechts. (c) Dorothea Tuch.

Ihr seid das erste Team in der Förderung, das sich mit dem Thema Tod und Bestattung beschäftigt. Daher interessiert es uns als erstes, was eure Backgrounds sind und wie sich der Wunsch bei euch entwickelte, Bestatterin und Trauerbegleiterin zu werden?

Unsere beruflichen Backgrounds sind ganz unterschiedlich. Wir sind im ersten Leben Architektin (Eva) und Projektmanagerin und freie Texterin (Miriam). In der Bestattungsbranche sind wir also beide Quereinsteigerinnen und haben uns über verschiedene Praktika und Kurse bei Hospizdiensten und anderen Bestattungsunternehmen fortgebildet.

Das Bild des Bestatters ist oft in erster Linie das eines Verkäufers und nicht das einer Begleitung und Stütze im Trauerprozess. Diese Erfahrung haben wir leider auch machen müssen und angefangen, uns mit Trauer und neuen Ritualen auseinanderzusetzten.

Wenn man mit Menschen über ihre Erfahrungen und Bestattungserlebnisse spricht, haben viele Menschen schlechte Erfahrungen gemacht. Vielen war die Feier zu unpersönlich oder die Deko zu kitschig. Und sie erzählen auch, dass die Kosten am Ende erschreckend hoch waren und man gar keine Zeit hatte, wichtige Entscheidungen zu durchdenken.

Wir möchten zeigen, dass die Bestattung nicht etwas sein muss, das man schnell hinter sich bringt, sondern als etwas sieht, das hilfreich im Trauerprozess ist.

Generell möchten wir den Themen Sterben, Tod, und Trauer mit frischem Wind begegnen und das ganze aus der Tabuzone holen. Denn das Kernproblem ist, dass Menschen häufig Berührungsängste mit Trauernden haben und so wenig Erfahrungsaustausch stattfindet. Daher sind die meisten Menschen nicht aufgeklärt über die Möglichkeiten, die es gibt. Und zusätzlich wird dadurch die Zeit nach dem Tod eines geliebten Menschen oft zu einer sehr einsamen Zeit.

Wie kamt ihr auf die Idee, Kreis & Raum zu gründen? Was ist euer Geschäftsmodell?

Aus eigener Erfahrung wissen wir, wie sehr man verloren gehen kann im Bestattungsjungle, wenn man das erste Mal jemanden verliert und keine Ahnung hat, was eigentlich alles möglich ist. Dann denken viele, es gibt den einen vorgegebenen Weg und das Bestattungsunternehmen wird schon wissen, was das Richtige ist. Viele realisieren erst Monate nach der Beisetzung, was sie eigentlich gerne hätten anders machen wollen und was das alles gekostet hat. Daher möchten wir die Blackbox „Bestattung“ öffnen und etwas Licht ins Dunkle bringen.

Wir sind also missionsgetrieben und möchten etwas verändern, haben aber ein klares Geschäftsmodell, um dies zu schaffen. Über die eher klassische Dienstleistung der Bestattung verdienen wir unser Geld. Darüber hinaus bieten wir kostenfreie Vorsorgegespräche an, bei denen man seine eigene Bestattung planen und schriftlich festhalten kann. Auf diesem Weg und über Aufklärungsarbeit auf Insta und Co. möchten wir die Menschen frühzeitig dazu bringen, über das Thema nachzudenken.

Im Anschluss an die Bestattung möchten wir Trauernde weiterhin unterstützen und mit anderen Menschen zusammenbringen. Geplant ist eine Online-Plattform, auf der wir Gruppen-Aktivitäten anbieten. Dazu sind verschiedene Angebote angedacht, von Trauer-Yoga und Kiez-Spaziergängen über Waldbaden bis zum Töpfern. Hier evaluieren wir aktuell, was die Menschen interessiert und freuen uns immer über Feedback zu dieser Idee und was euch sonst so in der Trauer schonmal geholfen hat (bestattung@kreisundraum.de). Falls sich hier Anbieter von Aktivitäten angesprochen fühlen, freuen wir uns ebenfalls über eine Nachricht.

Was ist das Besondere an Kreis & Raum? Wie unterscheidet ihr euch von anderen Bestattungsunternehmen?

Unser Ansatz ist es, trauerbegleitend zu bestatten und die Bestattung nicht nur als rein organisatorische Dienstleistung zu sehen. Das heißt, wir sehen die Planung und den Tag der Beisetzung als zentrales Element im Trauerprozess.

Daher binden wir die Zugehörigen aktiv und so viel sie es möchten ein. Zum Beispiel bieten wir an, dass man den Verstorbenen nochmal sieht, gemeinsam wäscht und anzieht. Oder den Sarg bzw. die Urne bemalt oder anderweitig schmückt. Oder bei der Zeremonie selbst etwas sagt, einen Brief schreibt und mit ins Grab gibt, selbst Musik spielt, ein Gedicht vorliest und so weiter. Dieser trauerbegleitende Ansatz führte auch zu der Idee, die Menschen nach der Beisetzung in Communities zusammenzubringen, damit wir sie in ihrer Trauer nicht alleine lassen.

Wir sehen uns auch als Anlaufstelle für unkonventionelle Ideen. Besonders in einer Großstadt wie Berlin gibt es viele Menschen, die sich auch mit keiner Religion mehr verbunden fühlen. Hier helfen wir neue Rituale zu entwickeln, die einen persönlichen Abschied ermöglichen. Am Ende ist das meist gar nicht so viel, was wir reingeben. Wir gehen einfach offen in jedes Gespräch und öffnen den Raum, sodass sich die Menschen trauen, ihre eigenen Ideen auszusprechen. Auch Konfetti und Pfeffi am Grab sind erlaubt. Zum Glück gibt es mittlerweile Bio-Glitzer oder Blumensamen-Konfetti.

Wichtig kann auch sein, Kinder mit einzubeziehen. Hier besteht bei vielen die Angst, etwas falsch zu machen. Bei dem Thema gibt es selten pauschale Antworten, aber für die allermeisten Kinder ist es wirklich wichtig dabei zu sein und die Vorstellung der älteren Generation, dass Kinder mit dem Tod überfordert seien, stimmt mit der Realität der Kinder selten überein. Kinder gehen ganz anders als Erwachsene mit diesen Themen um und trauern auf ihre Weise. Wir haben als Erwachsene oft das Bedürfnis sie zu schützen, aber aus unserer Erfahrung ist das an dieser Stelle nicht notwendig.

Ein weiteres Thema, das wir anders als konventionelle Bestattungsunternehmen angehen, sind transparente Kosten. Im Internet haben Menschen in fast allen Bereichen die Möglichkeit, Preise zu vergleichen. Interessanterweise ist die Branche hier sehr verschlossen und veröffentlicht nur Pauschalpreise, keine Kosten für die einzelnen Posten. Preisauskünfte für Urnen zum Beispiel bekommen nur Bestatter:innen und werden nicht an Privatpersonen kommuniziert. Hierbei gehen wir mit unserer Preisstruktur einen anderen Weg. Wir haben einen Paketpreis für die Begleitung und Organisation (aktuell 2.950 EUR für eine Feuerbestattung), geben aber die vielen weiteren Posten (z.B. Sarg, Urne, Blumen, Überführung) mit einer geringen Handling-Gebühr von 15% an den Kunden weiter.

Wir merken, dass sich viele Menschen eine naturnahe Bestattung wünschen. Daher kommt immer wieder die Frage, welche Bestattungsformen und -Orte in der Natur möglich sind. Hierzu beraten wir recht viel und sind mittlerweile gut informiert, wo Baumbestattungen auf den Berliner Friedhöfen möglich sind. Mit der Nähe zur Natur geht auch häufig der Wunsch einer ökologischen Bestattung einher. Unsere Auswahl an Partnerunternehmen und Lieferanten ist lokal in Berlin und Umgebung, alle Materialien biologisch abbaubar und für jede Feuerbestattung, die wir durchführen, findet bei uns eine CO2-Kompensation statt. Das ist der aktuelle Rahmen unserer Möglichkeiten. Darüber hinaus sind wir in Warteposition für eine neue Bestattungsart, die derzeit noch nicht in Berlin möglich ist. Bei der sogenannten Reerdigung wird der Körper innerhalb von ca. 5 Wochen zu Erde, sozusagen kompostiert. Wir gehören zu den ersten Berliner Unternehmen, die dieses Verfahren in Zukunft anbieten, sobald das Bestattungsgesetz dies zulässt.

Was gibt euch die Arbeit als Bestatterinnen und Trauerbegleiterinnen?

Wir merken immer wieder, wie belastend und überfordernd das Thema Sterben für viele Menschen sein kann. Wenn jemand mit gesenktem Kopf bei uns durch die Tür kommt und nach dem Gespräch, zum Beispiel nach einer Vorsorge für die kranke Mutter, mit erleichterten Schultern wieder nach Hause geht, ist das ein wahnsinnig erfüllendes Gefühl.

Außerdem haben wir das Privileg, mit fremden Menschen von jetzt auf gleich total tiefgründige Gespräche zu führen. Dabei treffen wir auf sehr spannende Persönlichkeiten oder dürfen die Geschichten von ihren Verstorbenen hören. Insbesondere bei Vorgesprächen für eine Trauerrede, die zum Teil 2-3 Stunden dauern, erfahren wir die berührensten Lebenswege und auch sehr viele lebendige Momente. Diese bei der Trauerfeier noch einmal erzählen zu dürfen, ist auch eine große Ehre. Der Beruf ist in jedem Fall so vielfältig, wie wir Menschen nun mal alle individuell sind.

Gibt es eine Begegnung, die euch besonders berührt hat oder in Erinnerung geblieben ist?

Viele. Von Pfeffi am Grab und gemeinsames Bemalen eines Sarges mit Kindern haben uns schon viele Abschiede berührt. Aber eine Situation haben wir gerade besonders im Gedächtnis: Bei einer Trauerfeier hat der Enkel für seine verstorbene Oma wirklich schöne und extrem bildhafte Worte gefunden und vor einer riesigen Trauergemeinschaft in der Kapelle vorgetragen. Das hat uns emotional komplett umgehauen, sodass wir beide unsere Tränen nicht verstecken konnten. Aber solange wir nicht die lautesten im Raum sind, die in der letzten Reihe schluchzen, finden wir das auch total ok und einfach menschlich. Da sind wir als Bestatterinnen nicht von ausgenommen.

Fällt es euch manchmal schwer, euch von der Trauer auf der Arbeit abzugrenzen? Und welche Strategien habt ihr für die Trennung von Berufs- und Privatleben entwickelt?

Wir sehen unsere Tätigkeit immer unter dem Begriff “professionelle Nähe”. Das heißt, wir sind empathisch und gehen auch gefühlsmäßig mit rein in eine Begleitung, sind uns aber unserer Rolle als Bestatterin bewusst. Wir sind keine freundschaftliche Bezugsperson. Das Wichtigste ist aber, dass wir zu zweit sind und uns gegenseitig stützen können. Das war uns beiden von Anfang an klar, dass wir diesen Berufsweg nicht alleine gehen möchten, sondern einen Sparringspartner brauchen. Bisher klappt das ganz wunderbar. Zusätzlich sind wir mit anderen Bestattungsunternehmen in guten Kontakt, die ein ähnliches Mindset haben, in denen wir ein erweitertes Netzwerk an Unterstützer:innen sehen. 

Was ratet ihr Menschen, die vor Kurzem einen geliebten Menschen verloren haben?

Puh, große Frage. So pauschal gibt es da keine gute Antwort drauf. Generell hilft es vielen, auf die eigenen Gefühle zu hören und das zu tun, was sich gut anfühlt. Weniger danach zu gehen, was andere an einen herantragen. Aber leichter gesagt als getan. Eine Sache ist uns wichtig zu sagen: Direkt nach einem Todesfall hat man meist mehr Zeit als man denkt. Und es gibt auch oft mehr Möglichkeiten als man denkt, dem Verstorbenen nochmal nah zu sein oder die Bestattung mitzugestalten. Und in der ersten akuten Trauer nach einem Todesfall oder auch später kann sich der Schmerz bei einigen Menschen wirklich unerträglich anfühlen. Manche haben sogar das Gefühl verrückt zu werden oder werden von Schuldgefühlen geplagt. Das ist ganz normal. Trauer und auch starke Trauer sind eine ganz normale emotionale Reaktion auf einen Verlust. Hier ist es total ok, gut und wichtig, sich Hilfe zu holen. Diese Hilfe kann aus dem eigenen sozialen Netz kommen, aber auch von professionellen Trauerbegleiter:innen oder Selbsthilfegruppen. Wir helfen gern bei der Suche nach einer passenden Anlaufstelle.

Inwiefern kann Natur nach dem Verlust eines geliebten Menschen heilsam sein?

Die beruhigende Wirkung der Farbe Grün und von einem Spaziergang im Wald ist ein Aspekt. Was aber auch heilsam sein kann, ist der Gedanke an den natürlichen Kreislauf des Lebens, der auch Inspiration für unsere Namensgebung Kreis & Raum war. Wenn ein Mensch stirbt, wird uns viel genommen. Gleichzeitig kann die Idee bzw. das Bild vor Augen helfen, dass der Körper des Verstorbenen an die Elemente Erde, Luft oder Wasser zurückgegeben wird. Für viele ist daher eine Wald- oder Seebestattung ein passender Weg, den Tod des Verstorbenen zu akzeptieren.

Was kann die Gesellschaft tun, um das Thema Tod zu enttabuisieren?

Tatsächlich glauben wir, dass das direkte Umfeld einer trauernden Person sehr viel verändern kann. Wenn man mitbekommt, dass sich bei einer Freundin oder einem Nachbarn ein Todesfall ereignet hat, ist es meistens eine gute Idee nachzufragen und dranzubleiben. Dranbleiben meint, nicht einmal sagen, dass sie sich melden kann, wenn sie etwas braucht, sondern konkrete Hilfestellungen anzubieten, wie z.B. Einkaufen, Zuhören, Spazieren gehen. Häufig isolieren sich Trauernde, weil sie merken, dass sich ihr Umfeld unwohl fühlt mit der Situation. Wenn ein Mensch in Trauer nicht über den Verstorbenen sprechen möchte, werden sie es einem sagen. Aber das Nachfragen ist eine gute Möglichkeit, mit dem Tabu zu brechen.

Eine andere Stellschraube sind die Medien. Durch die Darstellung in Filmen, Fernsehen, Magazinen und Büchern haben wir oft ganz falsche Vorstellungen vom Sterben und Tod – und auch vom Trauern.

Vielen Dank für das Interview!