Junge Männer eher rechts?

Youth Gender Gap

Die politischen Haltungen zwischen jungen Männern und Frauen klaffen signifikant auseinander. Das zeigt die aktuelle Studie „The youth gender gap in support for the far right“ (2025) von Forscher:innen der Humboldt-Universität Berlin, Ðorđe Milosav und Heike Klüver, sowie Zachary Dickson, Sara B. Hobolt, Theresa Kuhn und Toni Rodon.

Rechtsextreme Parteien verzeichnen nie dagewesenen Zuspruch unter jungen Wähler:innen

Die Forscher:innen haben die Daten der European Election Studies (EES) 2024 ausgewertet, die rund 25.000 Wählerinnen und Wähler aus allen 27 EU-Mitgliedsstaaten umfassen. Das überraschende Ergebnis: Rechtsextreme Parteien verzeichnen einen bislang nie dagewesenen Zuspruch unter jungen Wählerinnen und Wählern. Während progressive Parteien seit jeher die junge Wählerschaft mobilisieren konnten, galt dies für rechte Parteien in der Geschichte der EU bislang als Ausnahme.

Unter Unterstützer:innen der Rechten vor allem junge Männer

Die denkwürdigste Erkenntnis des Forscher:innenteams aber ist, dass unter den jungen Unterstützern rechtsextremer Kräfte vor allem Männer vertreten sind. 21% aller Männer, die der jungen Alterskohorte (16-29 Jahre) angehören, befürworten rechte Parteien. In derselben Alterskohorte sind es im Vergleich dazu nur 14% der Frauen, die eine rechte Gesinnung aufweisen.
Die deskriptive Analyse der EES ergab, dass die politische Kluft zwischen den Geschlechtern vor allem durch große Einstellungsunterschiede zu erklären sind. Junge Frauen in Europa vertreten deutlich häufiger sozial progressive Sichtweisen als ihre männlichen Altersgenossen.

Politischer Gender Gap am stärksten in den Generationen Y und Z

Darüber hinaus zeigen Modelle, die auf Alterskohorten der Wähler:innenschaft der Europawahlen von 1989 bis 2024 basieren, dass der Gender Gap bzgl. der Wahlentscheidung in den Generationen der Millennials und Generation Z besonders ausgeprägt ist. Bei den Baby Boomern sind die politischen Neigungen beispielsweise nahezu identisch. Auffällig ist auch, dass sich die Kluft innerhalb der Generation Z mit zunehmendem Alter immer schneller vergrößert. Dies erfolgt bei den Millennials gradueller.

Frühere Forschung zeigt, dass die politische Haltung sowie die erste Wahlentscheidung junger Menschen prägend für spätere Wahlmuster und politische Einstellungen im späteren Leben sind. Politikwissenschaftler Ðorđe Milosav erklärt dies so: „Junge Menschen sind in ihren jungen Jahren sehr beeinflussbar und die Tendenz besteht, dass sie die Gewohnheiten, die sie in dieser Zeit entwickeln, beibehalten. Sie wachsen außerdem unter dem Einfluss ihrer Familie, Freunde, Schule und Social Media auf und dies prägt ihre Art zu denken und ihr Verhalten. Demnach kann die erste Wahlentscheidung prägend für zukünftige Verhaltensweisen, und eben auch für Entscheidungen bei späteren Wahlen sein.“

Dorde Milosav

Alterspanne 16-29 Jahre besonders bedeutsam für spätere Wahlgewohnheiten

Wie junge Menschen der Alterskohorte 16-29 Jahre gewählt haben, kann daher weitreichende Implikationen für die Zukunft der europäischen Demokratien haben. Dennoch sei diese Alterspanne Milosav zufolge zwar ein besonders entscheidender Zeitraum für die initiale politische Sozialisierung, aber nicht die einzige Phase, in der sich politische Haltungen verändern können. So könnten z.B. bestimmte Lebenserfahrungen im späteren Leben, wie bspw. ein Jobverlust oder eine gescheiterte Ehe, zu politischem Umdenken führen. 

Erklärungen für den Youth Gender Gap

Wird der Graben zwischen den Geschlechtern unter der jungen europäischen Bevölkerung immer größer? Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die Lager wieder anzunähern?
Einblicke in die Ursachen könnten Faktoren geben, die die Unterstützung rechter Parteien positiv oder negativ beeinflussen. So wird deutlich, dass eine höhere Bildung, die Unterstützung der Ehe für alle und eine offene Haltung gegenüber verschiedenen Geschlechterrollen mit einer geringeren Neigung verbunden sind, rechtsextreme Parteien zu wählen. Im Gegensatz dazu stehen die Priorisierung von ökonomischem Wachstum über Klimapolitik sowie die Befürwortung autoritärer Werte in positiver Korrelation zur Wahlentscheidung für das rechte Spektrum.
Überraschenderweise zeigt sich, dass die Einstellung zu Migration keinen signifikanten Zusammenhang mit der Wahlentscheidung für rechte Parteien aufweist. Allerdings steht die Befürwortung einer restriktiveren Migrationspolitik in einem klaren, positiven Zusammenhang mit der Unterstützung rechter Parteien.
Die Forscher:innen kommen zu dem Schluss, dass die Kluft zwischen den Geschlechtern auch durch unterschiedliche Wertehaltungen und den sozioökonomischen Hintergrund bedingt ist – und nicht allein durch das Geschlecht. Sie sehen dieses Auseinanderdriften der politischen Lager eher als ein generationales Phänomen.

Das Problem der Second-Order-Elections

Zudem betrachten sie die Europawahlen als sogenannte „Second-Order Elections“ (Dinas & Riera, 2018), bei denen Wähler:innen oft ihre Unzufriedenheit ausdrücken und nicht unbedingt ihr Verhalten bei nationalen Wahlen widerspiegeln. Allerdings zeigt Schulte-Cloos (2018), dass rechte Parteien von gesteigerter Sichtbarkeit in Europawahlen bei nationalen Wahlen profitieren. Somit ist diese Studie eine wichtige Basis für die Vorhersage politischer Trends und sollte nicht vernachlässigt werden.

Gesellschaftliche Auswirkungen des Youth Gender Gaps

Milosav et al. (2025) weisen neben der Prognose eines weiteren Aufschwungs rechter Parteien in Europa auch auf die gesellschaftlichen Implikationen hin: Die ideologische Diskrepanz zwischen den Geschlechtern ist eng an Geschlechter- und Sexualitätsthemen geknüpft und birgt gesteigertes Konfliktpotenzial zwischen den Geschlechtern im Datingkontext und auf der Ebene persönlicher Beziehungen generell. Wenn die Partner:innenwahl aufgrund extremer politischer Unstimmigkeiten stark beeinträchtigt ist, kann dies zu mehr Einsamkeit, geringeren Geburtenraten und einem Anstieg von Scheidungsraten führen (Milosav et al. 2025).

Europa steht vor herausfordernden Jahrzehnten, in denen es darum geht, der politischen Polarisierung entgegenzuwirken, um mehr Einigung zu erreichen. Sozioökonomische und geschlechtliche Ungleichheitsdimensionen müssen adressiert und Männlichkeit überdacht werden.

Die gesamte Studie ist auf der Website des Humboldt Governance Lab zu lesen, das unter der Leitung von Heike Klüver steht. Das Governance Lab hat es sich zur Aufgabe gemacht, Entscheidungsträger:innen aus Politik und Wirtschaft sowie der Zivilgesellschaft neueste relevante politikwissenschaftliche Forschungserkenntnisse niederschwellig zur Verfügung zu stellen.

Hier geht’s zur Studie: Jung, männlich, rechts? Gender Gap unter jungen Wähler*innen – HUMBOLDT-GOV.LAB