
Die Warnungen der Wissenschaft sind laut: Die Klimakatastrophe entwickelt sich mit rasender Geschwindigkeit. 2023 wurde ein Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum Zeitraum 1850 bis 1900 festgestellt. Laut Wissenschaft werden diese 1,5 Grad in den nächsten Jahren übertroffen werden. Extremwetterereignisse wie lange Dürrephasen, Stürme, Starkregen sowie Überschwemmungen werden immer häufiger, auch in Deutschland.
Weiterhin leben wir jedoch in einer Gesellschaft, deren Energiequellen weitestgehend fossil sind und so den Klimawandel weiter anheizt (Diekmann, 2024).
Aktuelle klimapolitische Maßnahmen reichen nicht aus, um die verheerenden Entwicklungen einzudämmen. Zivilbevölkerung sowie Politiker:innen begegnen dem Thema oft mit kognitiver Dissonanz, demnach gar nicht. Fakt ist, die Politik schenkt dem existenziellen Thema oft nicht die nötige Aufmerksamkeit (Hiss, 2021).
Wissenschaftler:innen des Humboldt Governance Lab haben sich gefragt, ob Extremwetterereignisse dazu führen, dass sich europäische Parteien der Notwendigkeit klimapolitischer Führung bewusster werden und ihre politische Agenda entsprechend anpassen. In der Studie „Extreme weather events do not increase political parties‘ environmental attention“ (2024) sind die Forscher:innen Wappenhans, Valentim, Klüver et al. dieser Frage nachgegangen und haben getestet, ob extreme Wetterereignisse zu einer Verstärkung umweltpolitischen Handelns und Kommunikation führt.
Dazu analysierte das Forscher:innenteam 260 000 Pressemitteilungen 68 politischer Parteien aus neun EU-Ländern, die diese zwischen 2010 und 2020 veröffentlicht hatten. Den Fokus legten die Wissenschaftler:innen dabei auf die Veröffentlichungen zum Thema Umwelt. Die Anzahl der Pressemitteilungen nahmen die Forscher:innen als Maß für den Grad der Aufmerksamkeit, den Politiker:innen Umweltthemen schenken. Ob ein Extremwetterereignis stattgefunden hatte, legten die Forscher:innen mithilfe von Daten zu Stürmen, Fluten, Waldbränden und Temperaturexzessen fest.
Die Ergebnisse der Studie sind alarmierend: Extremwetterereignisse, die oft viele Opfer kosten, bewirken keinen signifikanten Anstieg parteipolitischer Aufmerksamkeit gegenüber Umweltthemen. Allein Grüne Parteien bilden eine Ausnahme, indem sie zumindest in der Woche des Ereignisses vermehrt darüber kommunizieren. Jedoch reduzieren sie dies eine Woche später wieder.
Nicht nur die niedrige Frequenz, mit der Parteien sich mit klimapolitischen Fragen auseinandersetzen, lässt einen mit Stirnrunzeln zurück. Auch der kommunikative Fokus im Kontext von Umweltkatastrophen ist fragwürdig: Bei Extremwetterevents wird meist nicht der Auslöser, der Klimawandel, thematisiert, sondern vornehmlich Informationen, die der Bevölkerung Erleichterung verschaffen sollen.
In der Studie der HU-Wissenschaftler:innen wird deutlich, dass politische Parteien aus Europa Umweltthemen nicht priorisieren. Sogar dann nicht, wenn die Folgen des Extremwetterereignisses besonders verheerend waren.
Wenigstens zeigt Wahlverhalten der Bevölkerung nach Umweltkatastrophen, dass diese ihre Entscheidung beeinflussen, auch wenn sich der Einfluss im moderaten Bereich verhält.
Dennoch deutet dieses Verhalten darauf hin, dass Umweltschutz für die Bevölkerung von Bedeutung ist. So könnte dies ein Anreiz für Parteien sein, Klimathemen mehr in den Fokus zu rücken. Die Forscher:innen vermuten, dass Politiker:innen das Unterstützungspotenzial in der Bevölkerung für derartige Themen unterschätzen. Untersuchungen zu Parteien in Großbritannien zeigen z.B., dass Parteien durch die Diskussion von Klimathemen verstärkt Wähler:innen für sich gewinnen können. Dieses Phänomen ließe sich vermutlich auch auf andere europäische Länder übertragen, während dies in den USA nicht der Fall ist.
Nichtsdestotrotz sind die klimapolitischen Maßnahmen in Europa immer noch unzureichend und bestürzend, wenn man bedenkt, dass Europa ein Kontinent ist, dessen Bevölkerung bereits seit Dekaden für Umweltthemen sensibilisiert wird und demnach ein höheres Bewusstsein für klimapolitisches Leadership zu erwarten gewesen wäre.
Quellen:
Hiss, D. (2021, July). Hitze, Extremwetter und kognitive Dissonanz. In Climate Action-Psychologie der Klimakrise (pp. 141-158). Psychosozial-Verlag. (9783837978018-141.pdf).
Diekmann, A. (2024). Klimakrise. Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. (Einleitung – Nomos eLibrary)